Februar 1934. Vorgeschichte – Verlauf – Folgen
Anlässlich des Gedenkens an den Bürgerkrieg im Februar 1934 gestaltete das Archiv der Stadt Linz eine multimediale Ausstellung. Mit historischem Film- und Fotomaterial wird die politisch umstrittene Periode der Ersten Republik bis zum Februar 1934 dargestellt. Die unmittelbaren Folgen des Bürgerkriegs sowie die Erinnerung nach 1945 sind ebenfalls Teil der Ausstellung.
Im Anschluss einige Bilder von der 2009 veranstalteten Ausstellung.
Rahmenbedingungen
Nach dem Ersten Weltkrieg herrschte eine revolutionäre Stimmung. Der verlorene Krieg hatte die Not der Massen noch vergrößert. Demonstrationen, Plünderungen und Schießereien waren im Oktober und November an der Tagesordnung. Im Februar 1919 und im Mai 1920 musste in Linz nach gewaltsamen Ausschreitungen das Standrecht verhängt werden.
Die im Landtag und Gemeinderat vertretenen politischen Parteien – Christlichsoziale, Sozialdemokraten und Deutschnationale – bemühten sich, der Lage Herr zu werden. Beinahe als Gegenregierung etablierten sich in den allerersten Nachkriegsjahren die Arbeiter- und Soldatenräte, die sich unter dem Einfluss der Sozialdemokratischen Partei befanden.
Der ersten oberösterreichischen Landesregierung der Republik stand – wie in der Monarchie – der christlichsoziale Prälat Johann Nepomuk Hauser vor. Der Sozialdemokrat Josef Gruber und der Deutschnationale Franz Langoth waren nun Landeshauptmannstellvertreter. Im Unterschied zum Land Oberösterreich, wo die Christlichsoziale Partei in der Monarchie wie in der Republik über absolute Mehrheit verfügte brachte in der Stadt Linz die erste Gemeinderatswahl nach der Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts eine politische Umwälzung. Aus der Zweidrittelmehrheit der Deutschnationalen wurde eine absolute Mehrheit der Sozialdemokratischen Partei.
Trotz aller politischen Kooperationen repräsentierten die drei politischen Parteien verschiedene Weltanschauungen, deren Unterschiede sich in allen Lebensbereichen manifestierten.
Die Republikkundgebung am 1. November 1918 auf dem Hauptplatz.
Ansicht eines geplünderten Geschäfts an der Landstraße im Februar 1919. Am 5. Februar verhängte die Landesregierung gemeinsam mit dem Arbeiter- und Soldatenrat sowie dem Landesbefehlshaber der Volkswehr das Standrecht über Linz und Umgebung.
Der Eisenbahnergesangsverein „Flugrad“ unter der Leitung von Eduard Macku (im Bild vorne rechts).
Mit Gelegenheitsarbeiten wie das Tragen von Reklametafeln versuchten Arbeitslose über die Runden zu kommen.
Kommunalpolitik
Nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte sich Linz zur Großstadt. Durch Zuwanderungen und durch Eingemeindungen wurde 1923 die 100.000 EinwohnerInnen-Marke überschritten. Mit der 1919 realisierten Vereinigung mit der Stadt Urfahr dehnte sich das Linzer Stadtgebiet auch nördlich der Donau aus.
Die deutlich größere Stadt verlangte – unter den schwierigsten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen - nach einer vergrößerten und professionelleren Infrastruktur. Die soziale Fürsorge wurde durch neue Mutterberatungsstellen, Kindergärten und verstärkte Jugendfürsorge erweitert. Der städtische Wirtschaftshof wurde als zentrales Unternehmen für Müllabfuhr und Transport sowie als Materialbeschaffungsstelle ausgebaut. Besonderes Augenmerk widmete die Stadtverwaltung dem Wohnbau – bei 15.000 Wohnungssuchenden blieben aber alle Anstrengungen nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Trotz des Willens zur Zusammenarbeit traten die prinzipiellen Unterschiede zwischen den politischen Parteien zutage: Die bürgerlichen Parteien wollten den Siedlungswohnbau forcieren und lehnten die größeren Wohnbauten als "Zinskasernen" ab. Sie sahen in den städtischen Betrieben eine unerwünschte Konkurrenz für die private Wirtschaft, während die Sozialdemokraten auf den städtischen Unternehmungen für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und als Preisregulator bestanden. Besonders die Christlichsozialen wollten, dass die Stadtgemeinde auch die konfessionellen Privatschulen unterstützen sollte, was die sozialdemokratische Mehrheit unter Berufung auf die Trennung von Kirche und Staat ablehnte. Während die bürgerlichen Parteien gleich nach dem Krieg auf die Verstaatlichung der städtischen Polizei drängten, konnten sich die Sozialdemokraten erst Ende 1926 angesichts der Nöte des städtischen Budgets dazu entschließen.
Der Kindergarten an der Schubertstraße im Jahr 1932 als Beispiel für eine Kinderbetreuungseinrichtung der katholischen Kirche.
Auf Grund der unterschiedlichen finanziellen Möglichkeiten fiel der soziale Wohnbau in Linz bei weitem nicht so eindrucksvoll aus wie im „Roten Wien“. Waren die Sozialdemokraten darauf bedacht, möglichst vielen Menschen anstatt überfüllten, menschenunwürdigen Unterkünften eine bessere Wohnmöglichkeit zu bieten, kritisierten die bürgerlichen Parteien die neuen Wohnhäuser als „Zinskasernen“ und wollten lieber den Siedlungswohnbau forciert sehen. Im Bild die städtische Wohnverbauung an der Wimhölzelstraße.
Die 1926/27 errichteten Wohnhäuser an der Knabenseminarstraße sind ein typisches Beispiel für den von der bürgerlichen Seite präferierten Siedlungswohnbau.
Radikalisierung
Das Bekenntnis zur Demokratie und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit verbanden Christlichsoziale, Sozialdemokraten und Großdeutsche in Linz und Oberösterreich trotz der unterschiedlichen Ideologien und Auffassungen bis 1933. In Oberösterreich gab es weniger Todesopfer auf Grund politischer Auseinandersetzungen als in anderen Bundesländern, obwohl sich auch hier der sozialdemokratische Schutzbund und die bürgerliche Heimwehr drohend gegenüberstanden. Um die sozialdemokratische Herrschaft zu brechen, kandidierten bei der Gemeinderatswahl 1927 Christlichsoziale, Großdeutsche und Nationalsozialisten gemeinsam als "Einheitsliste". Das Vorhaben scheiterte – die Sozialdemokratische Partei erhielt die absolute Mehrheit. Im Linzer Gemeinderat sorgten die politischen Splittergruppen der NSDAP und des Heimatblocks besonders ab Anfang der Dreißigerjahre für antidemokratische Agitationen.
Im Unterschied zu anderen Bundesländern bestand in Oberösterreich zwischen der Heimwehr und der Christlichsozialen Partei unter Landeshauptmann Schlegl keine Zusammenarbeit. Der Bundesführer der Heimwehr Ernst Rüdiger Starhemberg wurde 1931 nach dem versuchten Putsch der steirischen Heimwehr auf Anordnung der oberösterreichischen Landesregierung sogar in Haft genommen.
Erst nach Hitlers Machtergreifung in Deutschland Ende Jänner 1933, der Ausschaltung des österreichischen Parlaments durch Christlichsoziale und Heimwehr im März, dem Zusammenschluss von Großdeutschen und NSDAP zu einem Kampfbündnis im Mai sowie zahlreichen nationalsozialistischen Terrorakten, die zum Verbot der NSDAP führten, war auch in Linz und Oberösterreich die Zusammenarbeit in Sachfragen nachhaltig gestört.
Streik der Bediensteten der Elektrizitäts- und Straßenbahngesellschaft nach dem Urteil im Schattendorf-Prozess am 14. Juli und dem Justizpalastbrand am 15. Juli 1927.
Ein Aufmarsch der Nationalsozialisten auf der Landstraße im März 1930, der offenbar auf viel Interesse in der Bevölkerung stieß.
Schutzbund und Heimwehr standen sich in Linz wie überall in Österreich drohend gegenüber. Bei der Republikfeier auf dem Hauptplatz marschierte der Republikanische Schutzbund geschlossen auf (12. November 1928).
Nach dem Verbot des Republikanischen Schutzbundes Ende März 1933 beherrschte die Heimwehr die Straße in Linz.
Februarkämpfe
Die von Christlichsozialen und Heimwehr gebildete Bundesregierung unter Engelbert Dollfuß schaltete das Parlament aus und beseitigte wesentliche Grund- und Freiheitsrechte. Das offensichtliche Ziel war, die Sozialdemokratische Partei von der politischen Willensbildung auszuschließen. Die größte politische Gefahr ging jedoch von den Nationalsozialisten aus, die mit Terroranschlägen für Gewaltexzesse sorgten.
Wegen der Erosion sozialdemokratischer Positionen entschloss sich eine Gruppe um den oberösterreichischen Schutzbundführer Richard Bernaschek, aktiven Widerstand gegen die Regierung zu leisten. Eine Waffensuche der Exekutive im sozialdemokratischen Parteihaus "Hotel Schiff" führte am Morgen des 12. Februar 1934 zum Aufstand von Teilen des Schutzbundes. Die Hauptkampfgebiete waren neben Linz, Steyr und dem Hausruckviertel Wien und die Obersteiermark. Die Kämpfe endeten am 15. Februar mit einem völligen Sieg der Regierungstruppen. 118 Toten auf Regierungsseite standen etwa 200 Tote der Gegenseite gegenüber. In mehreren Standgerichtsverfahren wurden 22 Todesurteile gefällt, von denen neun vollstreckt wurden.
Die blutige Auseinandersetzung des Februar 1934 führte zum autoritären "Ständestaat", durch den die Demokratie endgültig beseitigt wurde. Der "Ständestaat" konnte sich nie auf die Mehrheit der Bevölkerung stützen. Dollfuß, der gegenüber dem Deutschen Reich auf die Eigenstaatlichkeit Österreichs bestand, wurde von nationalsozialistischen Putschisten niedergeschossen und tödlich verletzt. Der Putsch scheiterte. Der "Ständestaat" wurde schließlich von den Nationalsozialisten unterwandert. Sein endgültiges Ende erfolgte im März 1938 durch den Einmarsch der Truppen Hitler-Deutschlands.
Im Hotel Schiff begannen die Kampfhandlungen des 12. Februar. Gegen Mittag eroberte die Polizei mit Hilfe des Bundesheeres und schweren Geschützen das Gebäude.
Viele Schutzbündler gerieten bereits am ersten Kampftag in Gefangenschaft.
Gefangene Schutzbundangehörige im Innenhof des Rathauses, wo sich das Polizeigefängnis befand.
Heimwehr, Polizei und Bundesheer traten bei Straßensperren und Kontrollen der Straßenbahnpassagiere - wie hier auf der Landstraße - gemeinsam auf.
Unmittelbare Auswirkungen
Noch am 12. Februar 1934 wurde die Sozialdemokratische Partei verboten. Den sozialdemokratischen Mandatarinnen und Mandataren wurden ihre Ämter aberkannt. Viele wurden verhaftet, angeklagt und verurteilt oder flüchteten ins Ausland. Die bundesweit stärkste Partei Österreichs hatte mit einem Schlag zu existieren aufgehört. In Linz wurde ein Regierungskommissär eingesetzt und eine Stadtregierung aus Christlichsozialen und Heimwehrvertretern bestellt. Landeshauptmann Schlegel musste seinen Posten für den Dollfuß-Gefolgsmann Heinrich Gleißner räumen.
Die österreichischen Nationalsozialisten, die im Februar 1934 ihren Kampf gegen die Regierung eingestellt hatten, setzten ihre Terroranschläge fort. Die nationalsozialistischen Gewalttaten eskalierten am 25. Juli 1934, als SS-Männer in das Bundeskanzleramt eindrangen und Dollfuß niederschossen. Der Kanzler starb ohne ärztliche Hilfe und geistlichen Beistand. Nach dem Scheitern des Putsches setzte der neue Bundeskanzler Kurt Schuschnigg den autoritären Kurs fort. Die Regierung erklärte Dollfuß zum Märtyrer und ordnete einen Gedenkkult um seine Person an.
Der autoritäre "Ständestaat" verlor die Unterstützung des faschistischen Italien und blieb politisch isoliert. Die nationalsozialistische Unterwanderung wurde 1936 durch das Juliabkommen mit Deutschland verstärkt. "Nationale" Vertrauensleute wurden in die Regierung aufgenommen, im Gegenzug sicherte Hitler die staatliche Eigenständigkeit Österreichs zu. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten in Österreich und der Einmarsch von Wehrmacht und SS beendeten im März 1938 den österreichischen "Ständestaat", der es bis zu seinem Ende nicht verstanden hatte, eine Aussöhnung mit den ehemaligen Sozialdemokraten herbeizuführen.
Unmittelbar nach dem 12. Februar wurde für die Stadt Linz ein Beirat aus Christlichsozialen und Heimwehrvertretern bestellt. In der Bildmitte sitzend Regierungskommissär Franz Nusko, links dahinter der im November 1934 bestellte Bürgermeister Wilhelm Bock.
Kundgebung des autoritären Regimes im April 1934 auf dem Hauptplatz. Im Hintergrund sind die Symbole der Berufsstände des künftigen „Ständestaates“ zu erkennen (v.l.n.r.): Kulturelles Schaffen, Handel und Verkehr, Freie Berufe, Öffentlicher Dienst, Landwirtschaft, Industrie und Bergbau, Gewerbe sowie Geld-, Kredit- und Versicherungswesen.
Gedenkfeier für den von Nationalsozialisten ermordeten Kanzler Dollfuß am 3. Oktober 1934 in der Diesterwegschule. Diese Schule, auf die die sozialdemokratische Stadtverwaltung besonders stolz gewesen war, wurde bei dieser Gelegenheit in „Dollfußschule“ umbenannt.
Das Linzer Rathaus nach dem „Anschluss“ 1938.
Erinnerung nach 1945
Die Leiden und die Verfolgungen durch den Nationalsozialismus bestärkten sowohl die ehemaligen Politiker der Christlichsozialen Partei als auch jene der früheren Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, die Fehler der Ersten Republik nicht mehr zu wiederholen. Für viele Sozialisten war es 1945 noch schwer, jenen ÖVP-Politikern die Hand zu reichen, die als Exponenten des Dollfuß-Regimes für die Ausschaltung der Sozialdemokratie gesorgt hatten.
In Linz initiierte die sozialistische Rathausmehrheit die Benennung prominenter Plätze nach Personen, deren Schicksal mit dem Februar 1934 verbunden gewesen war: 1945/46 wurden der Bernaschekplatz (nach Richard Bernaschek, der den Aufstand des Schutzbundes ausgelöst hatte und im KZ Mauthausen ermordet worden war) und der Bulgariplatz (nach dem Arbeitersamariter Anton Bulgari, der nach einem Standgerichtsverfahren hingerichtet worden war) benannt. Die SPÖ errichtete Gedenkstätten im Hotel Schiff, am Bulgariplatz und im Stadtfriedhof St. Martin.
Die Jahrzehnte überstanden haben auch drei Gedenktafeln für gefallene Bundesheer- und Exekutivangehörige, ein monumentales Denkmal auf dem Barbarafriedhof für die auf Seite der Regierung Gefallenen des Bürgerkriegs sowie eine Dollfuß-Gedenkinschrift am Portal des Neuen Doms.
In den Siebzigerjahren und in der ersten Hälfte der Achtzigerjahre des vorherigen Jahrhunderts wurden Anstrengungen unternommen, die Ursachen und den Verlauf des Februar 1934 zu untersuchen. Trotz noch bestehender Wissenslücken – gerade im regionalen und lokalen Kontext – blieben seither weitere Forschungen fast gänzlich aus.
Unter dem Motto „Niemals vergessen“ stand die Gedenkfeier der SPÖ im Jahr 1954 zur zwanzigsten Wiederkehr des Februaraufstands.
Gedenktafel für den 1934 hingerichteten Brauereiarbeiter Anton Bulgari (Link zur Denkmaldatenbank).
Heutige Ansicht des 1935 errichteten “ständestaatlichen” Denkmals für die Gefallenen der Regierungsseite auf dem Barbarafriedhof (Link zur Denkmaldatenbank).