Entnazifizierung im regionalen Vergleich: der Versuch einer Bilanz
Autoren: Walter Schuster – Wolfgang Weber
In Österreich wurden für die Säuberung der Gesellschaft von ehemaligen Nationalsozialist/inn/en Bundesgesetze geschaffen, in den für diese Publikation untersuchten deutschen Ländern Baden, Bayern und Württemberg-Hohenzollern erließen die Länder und die französische bzw. US-amerikanische Besatzungsmacht einschlägige Gesetze. Im interregionalen Vergleich zeigt sich, dass es im Ablauf der Entnazifizierung durchaus zu regionalen Unterschieden kam, auch wenn diesem, wie in Österreich, eine bundesweite einheitliche Regelung zu Grunde lag. Diese Unterschiede lassen sich mit den parteipolitisch unterschiedlich besetzten Machtdiskursen in den jeweiligen Ländern begründen. Besonders bei der seit 1948 einsetzenden Amnestierung kam es jedoch zu interregionaler Zusammenarbeit, wenn es etwa darum ging, ehemaligen Nationalsozialist/inn/en die sog. Sühnefolgen zu erleichtern. In Süddeutschland war diese Entwicklung ähnlich.
Die vier alliierten Besatzungsmächte unterschieden in ihrer Entnazifizierungspolitik sehr deutlich zwischen der Säuberung in Deutschland und jener in Österreich. Während die Sowjetunion in ihrer deutschen Besatzungszone die Entnazifizierung als Mittel der sozialrevolutionären Umgestaltung der Gesellschaft nützte, reduzierte sie ihre Rolle im Prozess der Entnazifizierung in ihrer österreichischen Besatzungszone auf jene der Mediatorin. Frankreich praktizierte in Süddeutschland eine Entnazifizierung im Sinne der im eigenen Land angewandten auto-épuration, in Österreich arbeitete sie direkt mit den dortigen Zivilverwaltungen zusammen. Die anglomerikanischen Besatzungsmächte hingegen folgten sowohl in Deutschland wie in Österreich dem Credo des Elitenaustausches, das jedoch an der Realität scheiterte.
Die Entnazifizierung war in Süddeutschland wie in Österreich die umfassendste juristische Aktion der Nationalgeschichte. Durch die massenhafte Registrierung hunderttausender Nationalsozialist/inn/en gelang es, die Eliten wie die Masse der Mitglieder der NS-Organisationen auf Dauer namhaft zu machen. Unter diesem Gesichtspunkt war die Entnazifizierung in Süddeutschland und in Österreich erfolgreich.
Die berufliche Qualifikation und der hohe soziale Status, den besonders die NS-Eliten in den Vor- und Nachkriegsgesellschaften einnahmen, verhinderten aber eine Umsetzung des von den Alliierten angestrebten sozialrevolutionären Entnazifizierungsziels des Elitenaustausches. Die ehemaligen Nationalsozialist/inn/en in der öffentlichen Verwaltung, in den freien Berufen, im Gewerbe und Handwerk oder in der Privatwirtschaft verfügten über fachliches Know-how, welches die nach 1945 demokratischen Gesellschaften in Deutschland und Österreich zum Wiederaufbau zumindest ihrer Verwaltungen und Wirtschaften dringend benötigten. Unter diesem Gesichtspunkt war die Entnazifizierung in Süddeutschland und Österreich ein Misserfolg.
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