Barackenstadt Linz

Es war wohl keine Übertreibung, dass Bürgermeister Ernst Koref in seinen Memoiren davon sprach, dass die Stadt Linz nie zuvor in ihrer Geschichte vor so großen Problemen gestanden war als nach dem Kriegsende 1945. Neben der Versorgungslage war die Wohnungsnot das größte unmittelbare Problem der Stadt. Der rapide Bevölkerungsanstieg durch die Ansiedlung der Schwerindustrie in der NS-Zeit – zwischen 1938 und 1945 stieg die Bevölkerungszahl auf mehr als das Doppelte an –, die vielen Flüchtlinge und die Zerstörungen durch den Bombenkrieg stellten für den Wohnungssektor ein schier unlösbares Problem dar. Die Wohnungssituation wurde noch dadurch verschlimmert, dass auch die US-Besatzungsmacht für eigene Zwecke zahlreiche Gebäude und auch Wohnungen beanspruchte.

Wesentlich verschärft wurden die Schwierigkeiten der Nachkriegszeit durch die Überbevölkerung der Stadt. Zehntausende Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge waren bei Kriegsende in Linz interniert gewesen. Während die einen, nun befreit, auf ihre Heimreise warteten, spülten die Ereignisse rund um das Kriegsende täglich hunderte Neuankömmlinge in die Stadt. Linz sollte für die meisten nur eine Zwischenstation sein, das allgemeine Chaos und die Restriktionen durch die US-Besatzungsmacht verlängerte aber für viele meist ungewollt den Aufenthalt. Etwa 40.000 Fremde aus 25 Nationen befanden sich im Sommer 1945 in der Stadt – das waren rund 20 Prozent der Linzer Bevölkerung. Zu diesen Fremden zählten „Reichsdeutsche“, Fremd- und Zwangsarbeiter aus zahlreichen Ländern, ausländische Kollaborateure des NS-Regimes, Kriegsgefangene, befreite KZ-Häftlinge, Wehrmachtssoldaten, geflüchtete und vertriebene „Volksdeutsche“ (Sudeten- und Karpatendeutsche, Bukowina-Deutsche, Donauschwaben und andere) sowie viele Juden, die auf die Ausreise warteten. Die von den Amerikanern als „DPs“ („Displaced Persons“) bezeichneten Personengruppen waren zum Großteil in über sechzig Barackenlagern in und um Linz untergebracht.

Linz diente jahrelang als zentraler Sammelort für tausende jüdische DPs, die – besonders in den Lagern Bindermichl, Ebelsberg und Wegscheid – auf ihre Ausreisemöglichkeit warteten. Aufgrund der katastrophalen Zustände in den völlig überfüllten Flüchtlingslagern wurden vor allem für die schwer traumatisierten jüdischen DPs bessere Unterbringungsmöglichkeiten gesucht. Fündig wurde man unter anderem in der Wohnverbauung am Bindermichl, wo ab Oktober 1945 das so genannte „Lager Bindermichl“ eingerichtet wurde. In insgesamt drei Wohnblöcken wurde mit einem eigenen Bürgermeister, Geschäften, Schulen und einer eigenen Verwaltung eine eigene kleine Stadt in der Stadt geschaffen. Für viele jüdische Flüchtlinge war das Quartier am Bindermichl allerdings nur eine Station auf ihrem Weg in eine neue Zukunft in den USA, Kanada und vor allem ab 1948 im neu gegründeten Staat Israel.

Obwohl bis 1949 9.000 Wohnungen wiederhergestellt und 4.000 neu gebaut worden waren, lebten damals noch 27.000 Linzerinnen und Linzer in Baracken. Für 7.600 Familien dienten Gartenhütten, Fabrikshallen, leere Eisenbahnwaggons etc. als Unterkunft. Noch 1953 musste Bürgermeister Koref einen Fehlbestand von 25.000 Wohnungen – das war die Hälfte des vorhandenen Wohnungsbestandes – feststellen. Es sollte noch bis zum Ende der Fünfzigerjahre des 20. Jahrhunderts dauern, bis das Wohnungsdefizit allmählich behoben war.

Dokumente aus dem Archiv

Die folgenden Interviews wurden im Jahr 1965 vom damaligen Archivdirektor Wilhelm Rausch in Vorbereitung auf die Ausstellung "Linz 1945" geführt und aufgezeichnet. Daran schließen sich weitere Archivalien zum Thema Displaced Persons und Barackenlager an.

Interview mit Franz Schiefthaler über seine ersten Eindrücke bei der Heimkehr nach Linz Ende Mai 1945

Dipl.-Ing. Franz Schiefthaler, Beamter in der Bauverwaltung, erzählt von dem Anblick, der sich ihm bei seiner Rückkehr aus kurzer Kriegsgefangenschaft Ende Mai 1945 in Linz bot.

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Interview mit Albin Gebhart zur Versorgungslage

Albin Gebhart, damals Vizebürgermeister und Personalreferent, berichtet über die katastrophale Versorgungslage unmittelbar nach Kriegsende, über die befreiten KZ-Häftlinge und über die Verköstigung der Flüchtlinge durch die Stadtverwaltung.

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Filmaufnahmen von den Zerstörungen und der Wohnsituation unmittelbar nach Kriegsende (ohne Ton)

Der Ausschnitt aus dem Film "Eine Stadt hilft sich selbst" zeigt vor allem die Bombenschäden im Bahnhofsviertel, darunter die Figulyschule, den Handel-Mazzetti-Hof, die Karmelitinnenkirche an der Langgasse sowie den Städtischen Volksgartensalon. Es werden auch Einblicke in das Leben in den Ruinen gegeben, wie die Anlieferung von Wasser für die in den zerbombten Häusern hausenden Menschen.


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Im Sommer erging der Aufruf seitens der amerikanischen Militärregierung an alle so genannten "Reichsdeutschen", sich zwecks Rückführung zu melden.

Versuchte die amerikanische Militärregierung zunächst noch mittels Aufrufen repatriierungswillige Ausländerinnen und Ausländer koordiniert zur Ausreise zu bringen, wurden im weiteren Verlauf eigene Stellen eingerichtet, die sich um die Organisation der Heimreise bzw. Auswanderung der in Linz und Oberösterreich befindlichen Flüchtlinge kümmerten.