Geschichte des Linzer Rathausbalkons

An der Stelle des heutigen Alten Rathauses dürfte sich bereits im späten Mittelalter ein Rathaus befunden haben, das jedoch dem Stadtbrand von 1509 zum Opfer fiel. Die Erbauung des heutigen Rathauses geht auf die Jahre 1513 und 1514 zurück. Das Gebäude war ursprünglich ein dreiachsiger Bau mit einem Eckturm. 1650 erfolgte der Ankauf des angrenzenden Hauses am Hauptplatz, was zur Zusammenlegung der beiden Häuser zu einem Gebäude mit sieben Fensterachsen führte.

Im Jahr 1778 wurde an der zum Hauptplatz liegenden Fassade des Rathauses in der Mitte über dem Haupteingang ein – relativ kleiner – Balkon errichtet. Über der auf den Balkon führenden Tür ist das von zwei Engeln mit Blütengirlanden gehaltene Linzer Stadtwappen angebracht. In der Folge verkündete die Obrigkeit vom Balkon herab dem versammelten Volk Ratsbeschlüsse, Verordnungen und Gerichtsurteile.

Im Jahr 1782 machte Papst Pius VI. auf seiner Reise von Wien nach München in Linz Station. Bei dieser Gelegenheit erteilte er einer Menschenmenge vom Balkon herab seinen Segen.

In den Blickpunkt einer breiten Öffentlichkeit rückte der Rathausbalkon in den Umbruchstagen des Jahres 1918. Am 1. November veranstalteten die großen politischen Lager (Deutschnationale, Sozialdemokraten und Christlichsoziale) gemeinsam eine Kundgebung, bei der die Vertreter der Parteien ihre Ansprachen vom Rathausbalkon herab hielten.

In der demokratischen Ersten Republik wurde der Balkon im Rahmen von politischen Kundgebungen – etwa bei einer Veranstaltung zum zehnjährigen Republikjubiläum oder im Rahmen der Maifeiern der Sozialdemokratischen Partei – als Podium für die Redner und Rednerinnen genützt.

Im autoritären Ständestaat fanden offenbar keine Versammlungen statt, bei denen der Rathausbalkon eine Rolle spielte. Für die politischen Kundgebungen am Hauptplatz wurde stattdessen ein eigenes großes Podium errichtet, auf dem die Redner ihre Ansprachen halten konnten. Ein außergewöhnliches Ereignis stellte der Besuch des Passauer Oberbürgermeisters Moosbauer beim Linzer Bürgermeister Bock im September 1936 dar: Moosbauer und der deutsche Konsul in Linz grüßten vom Balkon herab mit dem Hitler-Gruß die auf dem Hauptplatz versammelten Menschen.

Am 12. März 1938 kam es in den Abendstunden zu den fotografisch und filmisch dokumentierten Szenen, als Hitler im Zuge des „Anschlusses“ Österreichs an NS-Deutschland seine erste Rede in Österreich auf dem Rathausbalkon in Linz hielt. Während der NS-Zeit wurde der Balkon auch im Rahmen von Besuchen prominenter Nationalsozialisten und Nationalsozialistinnen und bei weiteren Propagandaveranstaltungen des NS-Regimes genutzt. Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler im Juli 1944 fand eine von den NS-Machthabern inszenierte „Treuekundgebung für den Führer“ auf dem Hauptplatz statt. Vom Rathausbalkon sprachen unter einem an der Rathausfassade angebrachten überdimensionalen Hitler-Bild Gauleiter Eigruber und Oberbürgermeister Langoth zu den Versammelten.

In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg stand der Rathausbalkon für die Redner und Rednerinnen von SPÖ und KPÖ während der Feiern zum 1. Mai in Verwendung. In den Tagen des Oktoberstreiks des Jahres 1950 wurde das Rathaus von Demonstrierenden gestürmt, wobei Aktivisten vom Balkon aus die Fortsetzung des Streiks forderten.

Anlässlich der Feierlichkeiten während des Internationalen Frauentages im Jahr 1951 wandten sich die Organisatorinnen mit ihren Reden vom Linzer Rathausbalkon herab an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

In der Folgezeit traten der jeweilige Bürgermeister bzw. sein Vertreter mit prominenten Besucherinnen und Besuchern sowie mit Repräsentanten und Repräsentantinnen von diversen Vereinen und Organisationen auf den Balkon und zeigten diese der Öffentlichkeit. Als Beispiele für die unterschiedlichen Besuche können der Kosmonaut Jurij Gagarin (1962), burgenländische und niederösterreichische Weinköniginnen (1967 und 1968), die Bundesbahnkapelle (1968), eine Faschingsvereinigung (1974) und die Olympiasiegerin Elisabeth Max-Theurer (1980) angeführt werden.

Im Mai 1968 gab die auf dem Balkon stehende Magistratsmusik das letzte Geleit für den im Amt verstorbenen Bürgermeister Edmund Aigner, als dessen Sarg nach der Aufbahrung im Rathaus aus dem Gebäude getragen wurde.

Ab 1988 – seit den Amtszeiten der Bürgermeister Franz Dobusch und Klaus Luger – erfolgte ein bewusster, mit Absicht gesetzter Umgang mit dem Rathausbalkon. Dieser wird seither nicht mehr für öffentliche Veranstaltungen genutzt.